Baukultur NRW sensibilisiert seit Jahren für den Umgang, die Wertschätzung und die Analyse gestalteter Umwelt. Das UmBauLabor steht für die Bewertung und Wertschätzung von Gebäuden als Lebensraum. Was macht es uns heute so schwer, das Nachhaltige im Alten zu finden? War der Umbau und die Neudeutung doch seit Jahrhunderten ein zentrales Element in der Architektur. Wieso werfen wir heute lieber weg, als zu erhalten und zu verwandeln?
des Abfalls entstehen in der Baubranche.
Wiederverwenden und Umbauen sind sowohl Herausforderung als auch dringende Notwendigkeit, wollen wir ernsthaft von Nachhaltigkeit in der Raumnutzung und Schonung der Ressourcen auf Materialebene sprechen. Die Haltung aller Akteur*innen ist gefragt, um etwas Neues mit Altem zu wagen. Dafür braucht es zeitnah Räume für Experimente, die allen Interessierten offenstehen. Räume, in denen sehr direkt die Auseinandersetzung mit und die Wiederverwendung von Materialien untersucht wird; wo unsere Raumrealitäten in Frage gestellt und Szenarien für Nachnutzungen formuliert werden. Es braucht ein „UmBauLabor“.
Peter Köddermann, Geschäftsführung Programm Baukultur NRW
der Treibhausgasemissionen (u. a. CO₂) werden im Gebäudesektor erzeugt.
Mit dem UmBauLabor beteiligt sich Baukultur NRW an der aktuellen Diskussion rund um den Erhalt von Gebäuden und unterstützt die Forderung, dass Erhalt, grundsätzlich Vorrang vor Abriss und anschließendem Neubau haben sollte.
Bis Ende 2026 verwandelt sich ein über 100 Jahre altes Gebäude in NRW in ein „UmBauLabor“.
Geleitet von Baukultur NRW werden verschiedene Einrichtungen und Personen darin erforschen, was es heißt, gebaute Substanz nach so langer Lebenszeit umzubauen und weiterzunutzen. Da es noch viel Diskussionsbedarf zum Thema „Umbau“ gibt, werden die Räume immer wieder für Diskussionen und Präsentationen der Experimente geöffnet. Im UmBauLabor entsteht ein Treffpunkt, in dem Nachhaltigkeit, Umbaukultur und Materialkreisläufe gelebt werden.
• Dauer: 2023-2026
• Vermierin: Stadterneuerungsgesellschaft Gelsenkirchen mbH & Co. KG (SEG)
• Ort: siehe Reiter Gebäude
Das Bestandsgebäude und sein Material sollen betrachtet, erhalten oder wieder- und weiterverwendet werden. Wie das genau gehen kann, dafür gibt es verschiedene Antworten. Vier Betrachtungsweisen werden im UmBauLabor gegenübergestellt.
Partnerin: Prof. Renée Tribble, TU Dortmund
Partnerin: Prof. Dr-Ing. Sabine Flamme, FH Münster
Um ein Gebäude nach seiner ersten Nutzung wieder zu verwenden, müssen einige Schritte beachtet werden. Besonders, wenn Material im Kreislauf geführt werden soll. Auch im UmBauLabor sollen die folgenden Schritte darum Beachtung finden.
Beim „Wahrnehmen“ geht es darum, sich in das Gebäude hineinzudenken und es zu entdecken. Wann wurde es gebaut? Wer wohnte darin? Wie wurde es genutzt und wie war es dafür aufgeteilt? Welche Bedeutung hatte es für das Viertel? In welchem Zustand befindet es sich und was muss gemacht werden, damit es weiter genutzt werden kann?
Im Bearbeitungsschritt „Sichten“ werden das Gebäude sowie seine Bauteile betrachtet und untersucht: Können Bauteile als Sekundärmaterial zum Einsatz kommen? Hier können zur genauen Analyse einzelne Bestandteile – speziell des Innenausbaus – bereits ausgebaut werden. Schadstoffe und Materialzustände werden erfasst. Wie könnte eine Bewertungsstrategie für die Bauteilauswahl und ein Rückbaukonzept aussehen?
Die Bauteile werden entsprechend ihrer Materialität sowie ihrer möglichen Neunutzung in ein Rückbau- und Weiterverwendungskonzept einsortiert. Parallel dazu wird ökologisch und ökonomisch bewertet, wie die Bauteile in Zukunft verwendet werden sollen.
Alle Informationen fließen ein in eine ganzheitliche Dokumentation, die aus digitalen (BIM Modell) und analogen Modellen, Plänen, Tabellen sowie Texten besteht. Diese enthalten u. a. schädliche Inhaltsstoffe der Bauteile, Weiter- und Wiederverwendungsmöglichkeiten, eine Rückbauplanung und in Teilen einen Material- und Gebäudepass.
In einem selektiven Rückbau werden die Bauteile nach Möglichkeit ohne Beschädigung ausgebaut und die Materialien streng getrennt gesammelt. Der Rückbau von Material kann im UmBauLabor selbst oder in anderen nahegelegenen Häusern erfolgen. Im UmBauLabor gibt es eine Lagerfläche, auf der viele der Bauteile und Materialien gesichert werden können.
Ziel der Kreislaufwirtschaft ist es, u. a. den Wert von Produkten und Materialien auf höchstem Niveau zu erhalten. Dafür werden diese auf aktuelle Ansprüche im Bau wie Statik und Brandschutz geprüft und ihre Eignung zur Weiternutzung festgestellt. Prüfer*innen stellen die Materialqualität und eventuelle Beschädigungen fest. Anschließend wird überprüft, ob das Bauteil im Entwurf wie geplant gebraucht wird oder ob es verkauft oder weggegeben werden muss. Die Materialien werden auseinandergenommen, repariert, recycelt, aufbereitet oder als Abfall deklariert.
Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Projektes findet eine Umverteilung der geprüften Materialien und Ressourcen statt. Bauteile werden veräußert, für die eigene Nutzung eingelagert, verschenkt oder nach ihrer Aufarbeitung neu verbaut. Hierzu sind lokale oder regionale Verteilersysteme sowie Bauteil- und Rohstoffbörsen, die Bauproduktehersteller*innen und bei einer Kaskadennutzung auch Rezyklierer mit einzubeziehen. Im Fokus stehen Material- und Ressourcenerhalt, kurze Transportwege und geringer Ressourceneinsatz.
Mit den gefundenen, neu erschaffenen oder wiederverwendeten Bauteilen wird nun an einem Teil des Gebäudes der Umbau erprobt. Die vorangegangenen Planungsschritte müssen hierfür eventuell auch an externen Gebäuden wiederholt werden.
Nach dem Umbau sind im Gebäude neue Nutzungen möglich. Je nach vorangegangenen Baumaßnahmen kann im Gebäude nun etwas Neues entstehen – es erfolgt eine Neuprogrammierung. In Zusammenarbeit mit regionalen Akteur*innen und in Rückkopplung mit nachbarschaftlichen Strukturen wird das Gebäude mit neuer Nutzung in seine nächste Lebensphase geschickt.
Ort des UmBauLabors ist die Bergmannstraße 23 in Gelsenkirchen, ein sanierungsbedürftiges Wohn- und Geschäftshaus, das 1902 als Fleischereibetrieb und Wohnhaus der Familie Nocke errichtet wurde. Die Familie betrieb die Fleischerei über mehrere Generationen bis Anfang der 2000er in der unteren Gewerbeeinheit im Erdgeschoss. Über eine Toreinfahrt gelangt man noch heute in einen Hof, in dem sich ehemals als Werkstatt und Lager genutzte, ein- bis zweigeschossige Anbauten befinden. Die Obergeschosse des Hauphauses sind für sechs Wohneinheiten ausgelegt.
Das Gebäude wurde Anfang 2023 durch die Stadterneuerungsgesellschaft Gelsenkirchen (SEG) erworben, als Teil des Pilotprojektes „Problemimmobilien“ des Landes Nordrhein-Westfalen . Es weist einen hohen Instandhaltungsstau und erhebliche bauliche Mängel auf, weshalb es freigezogen und die bisherige Nutzung untersagt werden musste. Nach Angaben der Eigentümerin ist das Gebäude nicht kosteneffizient haltbar und sollte daher abgerissen werden. Baukultur NRW ist bis Ende 2026 Zwischenmieterin des Objektes und hat sich die Möglichkeit zum Erhalt des Gebäudes zu Aufgabe gemacht.
Das Gebäude liegt im Sanierungsgebiet „Bochumer Straße“. Dieses etwa 29 Hektar große Gebiet befindet sich südlich von Innenstadt und Hauptbahnhof im Stadtteil Ückendorf, indem etwa 2.800 Einwohnerinnen und Einwohner aus 35 Nationen leben. Die Gebäude sind großteils alte Gründerzeitbauten, die aufgrund ausgebliebener Investitionen selten saniert wurden. Darum fördert die Stadt eine Revitalisierung des Quartiers rund um die Bochumer Straße. Städtebau und Raumplanung werden dabei mit sozialen und ökonomischen Bausteinen zusammengebracht. Geplant ist es, das Gebiet zu einem lebendigen, multikulturellen und kreativen Zukunftsquartier zu entwickeln.
Im Quartier sind in den vergangenen Jahren vielfältige Projekte und Ideen in Angriff genommen oder bereits umgesetzt worden, die Kunst, Kultur und ein offenes, soziales Miteinander zum Gegenstand haben. Unmittelbar gegenüber dem Gebäude befinden sich die Heilig-Kreuz-Kirche an der Bochumer Straße, die als Veranstaltungsort genutzt wird, sowie das Projekt „HeidelbÜrger Wohnkumpane“, das einen ehemaligen Gemeindesaal und Kindergarten aus den 1950er Jahren in Atelier- und Werkräume für Künstler*innen und Kulturschaffende, aber auch in Wohnraum umbaut.
Unweit sind weitere Projekte wie der offene Werkstattraum „Werk und Raum“, Veranstaltungsorte wie das „hier ist nicht da“ und das Café „Ütelier“, Ateliers und Arbeitsräume wie der „c/o Raum für Kooperation“, Expertimentalräume wie das „GeOrgel“, die „readymade • buchhandel & kunst“, „1Null7 – das Zuhause“ und „Haus Reichstein“. Außerdem gibt es Betreuungsangebote für Kinder und Jugendliche, darunter „MoKi – die mobile Kita“. Neben den räumlich sichtbaren Initiativen gibt es einige Gruppen, die sich als Nachbarschaft zusammentun und diese gestalten wollen. Das UmBauLabor sucht in dieser bunten Mischung an Aktivitäten Anschluss und Synergien, um gemeinsam einen Mehrwert für das Quartier und darüber hinaus zu schaffen.
Sekundärrohstoffe werden durch Recycling gewonnen. Z. B. Holzfasern aus Altpapier oder Kiesel aus kleingemahlenem Beton. Primärrohstoffe werden dagegen direkt der Natur entnommen z. B. Frischholzfasern oder Kieselsteine. Sekundärbauteile sind Bauteile, die bereits einmal genutzt wurden und nach einem Ausbau wieder verwendet werden.
Weitere Informationen u. a.: www.ifeu.de
„Ein BIM-Modell besteht aus Daten, die in der Regel durch ein Informationsmodell für die digitale Gebäudemodellierung strukturiert werden, das neben geometrischen auch alphanumerische Daten verwalten kann. Mithilfe eines BIM-Modells soll das spätere Gebäude mit allen Aspekten als ‚digitaler Zwilling‘ rechnergestützt abgebildet werden.“
aus Baunetz_Wissen: Was ist ein BIM-Modell?
Aktuell
Vergangen
20.11.-24.11.2023 vor Ort Seminar des Lehrstuhles Städtebau, Bauleitplanung und Prozessgestaltung der TU Dortmund zum Thema Quartier
31.01.2024 17:30-19 Uhr JA*/ Junge Planer: Führung UmBauLabor
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Sobald die Termine feststehen, können Sie sich auch hier zur Veranstaltung anmelden.
Helga Sander Stadterneuerungsgesellschaft Gelsenkirchen mbH & Co. KG (SEG)
Irja Hönekopp KSE / Stadterneuerung und Sanierung Stadt Gelsenkirchen
Prof. Renée Tribble TU Dortmund, Fakultät Raumplanung / Planbude, Hamburg
Ruth Reuter Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, Prima Klima
Frank Jansen VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik
Ingenieurkammer-Bau Nordrhein-Westfalen
Baukultur NRW wird gefördert durch das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen
Peter Köddermann Programmleitung - Baukultur Nordrhein-Westfalen
Santana Gumowski Projekt UmBauLabor - Baukultur Nordrhein-Westfalen
Lillith Kreiß Projektleitung UmBauLabor - Baukultur Nordrhein-Westfalen
https://baukultur.nrw/projekte/umbaulabor/
Fotos: 1-4: Tania Reinicke 5-13: Sebastian Becker
Grafiken: DESERVE Berlin MXR Storyttelling